- Kapillardruck in Wundauflagen -
Eine Untersuchung im Auftrag von Protex Healthcare Ltd.
Dieser Beitrag befasst sich mit der autogenen Kapillarwirkung von Wundauflagematerialien und stellt die Umwertung der berechneten Saugspannung in vergleichbare Druckeinheiten dar. Dazu wird die unter dem Begriff „Washburn-Methode“ bekannte Technik mit der IMETER Methode M7 angewendet.
Von M. Breitwieser, IMETER MessSysteme und D. Viaene, Protex Healthcare Ltd., 5/2021.
Über Wundauflagen
Moderne Produkte in der Wundbehandlung zeichnen sich durch ihr Absorptionsvermögen und der Schaffung eines feuchten Wundmilieus aus. Eine Hauptaufgabe dieser Wundauflagen besteht in der Entfernung von Wundflüssigkeit (Exsudat), Blut, Sekreten von einer Verletzung (Ulcus, Ödeme, Dekubitus, diabetischer Fuß, Brandwunden etc.), um eine möglichst schnelle Heilung zu ermöglichen. Ziel dabei ist es, die Wunde feucht, aber nicht nass zu halten.
Die zur Verfügung stehenden Wund-Behandlungsarten lassen sich kurz wie folgt klassifizieren [1,2]:
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- Hydrophile Schaumstoffe absorbieren Exsudat an inneren Oberflächen des Schaums (eine reguläre Kapillarwirkung tritt hierbei kaum auf).
- Superabsorber saugen als quasi polymeres Salz wässrige Lösungen an und quellen unter Bildung eines Hydrogels auf.
- NPWT Pumpen erzeugen durch manuelle oder elektrische Komponenten einen Unterdruck. Die behandelte Körperoberfläche ist hierfür atmosphärisch zu isolieren bzw. luftdicht abzudichten.
- Kompressen, Vliesstoffe und spezifisch entwickelte Wundauflagen wie VACUTEX nutzen den Kapillareffekt.
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Die Aufnahme und der Transport der Flüssigkeit sind die wesentlichen Funktionen dieser Wundauflagen. Die Wundheilung wird durch die Entfernung des Exsudats begünstigt, indem Bakterienwachstum und Biofilmbildung verhindert und auch wundheilungsstörende Elemente wie MMPS (Matrix-Metallproteasen) von der Verletzung abtransportiert werden. Die NWPT-Methode zieht durch externen Unterdruck Gewebsflüssigkeit an und saugt überstehendes Sekret ab. Der Behandlungsort verbleibt von Sekret benetzt, ein Luftaustausch findet nicht statt. Im Bereich der NPWT wird hervorgehoben worden, dass bestimmte negative Drucke sich günstig auf die Wundheilung auswirken können; der medizinische Nutzen gegenüber der konventionellen Wundtherapie wird in der Literatur teilweise kontrovers betrachtet[6].
Das Probenmaterial
- VACUTEX® 2015 (Konfektionierter Vliesstoff, 10x10 cm. Materialstärke 3,0 mm, REF: VAC010010, LOT: 159847, Protex Healthcare)
- VACUTEX® 2020 (Unkonfektioniert, in Form von 30x22 cm Platten, Materialstärke 3,0 mm, Protex Healthcare)
Solution A ist eine physiologische Kalzium- und Natriumchlorid Salzlösung gemäß DIN EN 13726-1; Hexan: Sigma-Aldrich, Reagent Plus ≥99%; Wasser: destilliert, luftgesättigt, Leitfähigkeit ≤ 1 µS/cm.
Bestimmung des Kapillardruckes durch Sorptionsmessungen
Bei Sorptionsmessungen entsprechend der Washburn-Methode [3,4] wird unmittelbar das Aufsaugen bestimmter Flüssigkeiten durch ein Probenmaterial untersucht. Die Analysenmethode adressiert also unmittelbar den Anwendungszweck des Wundauflagematerials.
Prinzip: Ein poröses Material berührt die Oberfläche einer Flüssigkeit - Ob dabei Flüssigkeit in die Hohlräume des Materials eindringt und mithin ein Aufsaugen zu Stande kommt, hängt davon ab, ob eine Benetzung des festen Stoffes durch die Messflüssigkeit zu Stand kommt.
Je besser der Feststoff benetzbar ist - d.h. je kleiner der Kontaktwinkel Θ ist - desto stärker ist der Druck der Flüssigkeit in die Hohlräume. Dieser Druck steigt mit der Oberflächenspannung der Flüssigkeit (γ), der Benetzungsgüte (Θ) und der Kleinheit der Poren (r̅c). Die Viskosität (η) des Fluids zusammen mit der Enge der Poren sowie die mit der Zeit zunehmende Weglänge durch das Feststoffgefüge bremsen den Infiltrationsvorgang mehr und mehr ab. Schließlich hemmt und begrenzt die Schwerkraft den Flüssigkeitsaufstieg. Die Infiltration kommt zum Stillstand, sobald der hydrostatische Druck der Flüssigkeitssäule dem Kapillardruck entspricht.
Berechnungsverfahren: Die poröse Absorption wird durch die sogenannte Lucas-Washburn-Gleichung physikalisch formal handhabbar. Sie liefert eine Beschreibung der Beobachtung gemäß der Gleichung h = √(t·r̅c·γ·cosΘ/2η).
D.h. die Steighöhe h nach einer Zeit t ist dabei proportional zur Wurzel der Dauer (√t), dem effektivem Kapillarradius r̅c und der Oberflächenspannung γ der Flüssigkeit. 'cosΘ' ist der Kosinus des Kontaktwinkels der Flüssigkeit auf dem Feststoff. Wenn dieser Winkel gleich Null ist (Θ=0°), d.h. die Benetzung ist total, wird cosΘ = 1 also maximal.
Mit einer Flüssigkeit, die das feste Material vollständig benetzt, kann der effektive Kapillarradius r̅c berechnet werden. Die Messung kann dann mit einer in Frage stehenden Flüssigkeit wiederholt werden, um mittels r̅c (bzw. einer Materialkonstante K) den hier wirksamen Kontaktwinkel Θ zu bestimmen. Weiterhin kann aus mindestens zwei Θ-Werten mit geeigneten Flüssigkeiten die Oberflächenenergie des porösen Materials berechnet werden, auf die das Benetzungs- und Adsorptionsverhalten allgemein zurückgeführt werden kann.
Über die ermittelten Größen Kapillarradius r̅c und Kontaktwinkel Θ und mit der Oberflächenspannung der Flüssigkeit γ erfolgt die Berechnung des Kapillardruckes Δp gemäß der Young-Laplace-Gleichung: Δp = 2 γ cos Θ / r̅c
Messverfahren: Das plattenförmige bzw. kubische Probenstück wird in temperierter Umgebung über der Flüssigkeitsoberfläche an einer Wägeeinrichtung aufgehängt (vgl. Bild rechts). Nach einer Temperier/Konditionierphase in der Atmosphäre der Messzelle wird die Flüssigkeitsoberfläche nach oben bewegt. Die Bewegung stoppt bei Oberflächenkontakt und die Flüssigkeit kann in der Probe aufsteigen. Anhand der Gewichtszunahme wird sodann die Infiltration verfolgt.
Aus Flüssigkeitseigenschaften, Bedingungen der Probenpräparation, Gewichts- und Infiltrationsmessung liefert das M7 PUK-Verfahren mehrere Charakteristika des Probenmaterials anhand gesetzmäßig miteinander in Verbindung stehender Kenngrößen. So wird mit der Probengeometrie die Bulk-Dichte angegeben. Das in Relation zum Probenvolumen aufgenommene Flüssigkeitsvolumen erlaubt differenzierte Porositätsangaben und aus der auf die Kontaktfläche bezogenen Aufnahmegeschwindigkeit ergibt sich die Sorptivität S.
Experimentelle Ausführung
Praktische Durchführung: Für die Untersuchung wurden aus den Probenmaterialien Teststücke im Format 36 x 15,5 mm ausgeschnitten. In einer auf 25,0°C temperierten Umgebung wurde der zeitliche Verlauf der Flüssigkeitsinfiltration nach Kontakt von Probe und Fluid entsprechend gravimetrisch bestimmt. Für die Bestimmung des Kontaktwinkels und mithin des effektiven Kapillarradius' r̅c wurden Messungen mit Hexan an den Probenmaterialien ausgeführt, um mit cosΘ=1 die Materialkonstante (mithin r̅c) zu bestimmen. Einzelheiten des Algorithmus' finden Sie bitte hier unter modifizierte Washburngleichung.
Aus der Herleitung des formelmäßigen Zusammenhangs ist für die Wirklichkeit zu beachten, dass r̅c, tituliert als effektiver Kapillarradius, nicht etwa einen mittleren Radius darstellt, sondern denjenigen Radius angibt, den gerade Röhren haben müssen, um das beobachtete Verhalten aufzuweisen. Weiterhin zu berücksichtigen ist, dass die Annahme totaler Benetzbarkeit durch Hexan axiomatisch angenommen wird, jedoch nicht verifizierbar ist.
Die Oberflächenflächenspannung des Fluids wurde vor und nach der Sorptionsmessung direkt in der selben Messzelle bestimmt (IMETER M1). Um vollständigere Aussagen über die Porosität des Probenmaterials zu gewinnen, wurde darüber hinaus auch die absolute Dichte der Produkte durch hydrostatische Wägung ermittelt (IMETER M9, Dichte bei 25°C: ρ2015=1.388, ρ2020=1,390 g/cm³; Porosität Φ2015=84.2%, Φ2020=83.4%).
Bezüglich der Messungen der Oberflächenspannung von Solution A und Wasser - jeweils vor und nach der Infiltration - zeigte sich, dass sowohl VACUTEX 2015 als auch VACUTEX 2020 offenbar Spurenmengen oberflächenaktiver Substanz an die wässrige Flüssigkeit abgeben. Die Berechnung des Kapillardruckes wurde mit der dadurch reduzierten Oberflächenspannung durchgeführt. Ohne diese Reduktion der Oberflächenspannung würden sich für den Kapillardruck merklich höhere Werte ergeben. Tabelle 1 (ganz unten) listet die Messergebnisse aus der Sorptionsmessung auf. Diesbezügliche IMETER-Prüfberichte werden im Supplement zur Verfügung gestellt.
Kritische Überprüfung / Plausibilitätstest der Druckberechnung: Auf Basis der Young-Laplace-Gleichung wird der Kapillardruck idealisiert berechnet. Die dafür erforderlichen Kapillarradien werden als „effektive Kapillarradien“ aus der Washburn-gleichung übernommen. Damit kann der berechnete Kapillardruck als ein rein theoretisches Konstrukt angegriffen werden. Als Kritik könnte beispielsweise angeführt werden, dass nirgends kreisrunde Kapillaren in dem Vliesmaterial zu finden sind.
Das IMETER-MessSystem verfügt mit dem I-SIF-Sensorinterface über einen Präzisionssensor zur Messung des Luftdrucks. Dieser kann allerdings durch höhere Drucke zerstört werden. Für unsere kritische Überprüfung glaubten wir unseren Berechnungen - also, dass 5-10 kPa Überdruck den Sensor nicht zerstören würde.Insgesamt darf festgehalten werden, dass durch die konventionelle Druckmessung die Annahme der prinzipiellen Richtigkeit, der in diesem Beitrag ausgeführten Kapillardruckbestimmung, gestützt wird.
Übrigens, dass ein negativer Druck durch Kapillarwirkung entsteht, wird jedem (Kind) sofort klar, wenn Zunge oder die feuchte Lippe an Tafelkreide, eine Tonscherbe oder ein anderes, benetzbares, feinporiges Material kommen. Die Zunge klebt an - und das ist ein Ansaugen durch Wirkung des hier spürbar negativen Kapillardrucks.
Ergebnis der Kapillardruckbestimmung
Der Druck, mittels welchem ein Verbandsmaterial durch Kapillarwirkung Flüssigkeit aufsaugt, kann durch Sorptionsmessungen bestimmt werden. Zur Bemaßung desselben, d.h. zur Quantifizierung der kapillaren Saugwirkung, wurde, um Produktvergleiche über die physisch-physikalisch messbare Materialeigenschaften anstellen zu können, die Anwendung der Washburn-Gleichung herangezogen. Sie ermöglicht über die effektiven Kapillarradien die Bestimmung des Drucks gemäß der Young-Laplace Gleichung.
Als Ergebnis der Untersuchung stellte sich für die beiden VACUTEX Produkte Folgendes heraus:
Gegenüber einer physiologischen Kochsalzlösung (Solution A) werden durch VACUTEX 2020 Drucke im Bereich 4 bis 10 kPa (30 bis 75 mmHg) erzeugt. Dieser Druckbereich entspricht rund 5 bis 10% des atmosphärischen Luftdruckes und befindet sich damit zugleich im Bereich der NPWT (25 bis 125 mmHg).
VACUTEX 2020 erzielt mit 9,1 kPa (68 mmHg) gegenüber einer physiologischen Salzlösung (Solution A) einen nahezu verdoppelten Kapillardruck Δp gegenüber dem früheren Produkt VACUTEX 2015, das 4,8 kPa erzielt (vgl. Diagramm 4). Der Kapillardruck der physiologischen Salzlösung ist gegenüber Wasser erkennbar erhöht. D.h. eine höhere Salzlast beeinträchtigt nicht das Saugvermögen. Ganz im Gegenteil.
Bei etwa vergleichbaren effektiven Kapillarradien r̅c der beiden Vliesstoffe ist die Ursache für die Leistungsunterschiede durch jeweilige Kontaktwinkel begründet. Je kleiner der Kontaktwinkel Θ, umso größer wird der Kapillardruck, respektive die Saugintensität. VACUTEX 2020 erreicht mit 65,1° gegenüber der physiologischen Salzlösung (Solution A) einen günstigeren Wert. VACUTEX 2015 stellt sich mit 74,6° als spürbar weniger gut benetzbar dar. Gegenüber reinem Wasser fallen die relativen Unterschiede sogar noch deutlicher aus. Hier ist der Kontaktwinkel von VACUTEX 2020 sogar um 17,8° verbessert.
Schlussfolgerungen und Ausblick
VACUTEX 2015 und 2020 zeichnen sich durch eine hohe Kapillarwirkung aus, wobei das technisch optimierte VACUTEX 2020 hinsichtlich Saugleistung und Aufnahmekapazität eine deutlich verbesserte Effektivität zeigt. Es stellt sich heraus, dass nicht nur aufwändige Technologien wie NPWT höhere Drücke zu erzeugen vermag, sondern auch passive Systeme dazu in der Lage sind. Insbesondere in weniger privilegierten Regionen der Welt, in denen NPWT nicht allen Menschen zur Verfügung steht, bietet VACUTEX eine gute Alternative.
Mit den beobachteten Steighöhen von mehreren Zentimetern geht einher, dass in der flächenhaften VACUTEX -Anwendung (die gegebenenfalls mehrlagig auf Verletzungen appliziert sein kann) sich die Saugspannung in der exsudatgetränkten Wundauflage dynamisch durch Verdunstung des Wundwassers nachbildet. Da Verletzungen insgesamt viel Exsudat absondern können, die je Zeiteinheit produzierte Flüssigkeitsmenge jedoch oft relativ gering ist, kann kummuliert eine höhere Aufnahmekapazität erreicht werden. Als wahrscheinlich günstigen zusätzlichen Effekt wird so die Wunde zugleich durch die Verdunstung gekühlt (Entzündungen - Bakterienwachstum, Schmerzlinderung). Inwiefern die Kapillarwirkung und die damit verbundenen Transportvorgänge möglicherweise ebenfalls zu einer heilungsfördernden Stimulation des Wundgewebes führen, müssen klinische Untersuchungen klären.
"VACUTEX 2025" - ? - Eine besondere Herausforderung könnte mittels der mit dem IMETER MessSystem instrumentierten und automatisierten Sorptionsmessung antizipiert werden, nämlich die selektive Adsorption wundheilungsstörender Spezies, die aus dem feuchten Wundmilieu auf VACUTEX-Fasern gebunden werden könnten. Die dafür erforderlichen Arbeiten zu Identifikation und Bestimmungen der Oberflächenenergie der betreffenden Eiweißstoffe, Zellbestandteile, Enzyme etc. und der jeweiligen Flüssigkeit dürfte sich jedoch als wenig triviale Aufgabe darstellen[5,6].
Supplement
Beispiele vollständig dokumentierter Prüfberichte (als PDFs), die das IMETER MessSystem für Messungen automatisch generiert:
- Sorptionsmessung VACUTEX2015 (ID17757)
- Sorptionsmessung VACUTEX2020 (ID17761)
- Dichtemessung an VACUTEX2020
- Messung der Oberflächenspannung nach Sorptionsmessung
Literatur
[2] Kathryn Panasci, Chapter 12 - Burns and Wounds, Eds: Jaime C. Paz, Michele P. West, Acute Care Handbook for Physical Therapists (Fourth Edition), W.B. Saunders, 2014, S. 283-311, https://doi.org/10.1016/B978-1-4557-2896-1.00012-3.
[3] IMETER (2x WebLinks) → (1) Beschreibung der Methode IMETER M7, (2) Herleitung der (modifizierten) Washburngleichung, Anwendung & Beispiele
[4] Erbil, H. Yildirim, Surface Chemistry Of Solid And Liquid Interfaces, Blackwell, Oxford, 2006, S.325.
Links
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